Bernd Schmidt mit einem seiner Pferdewagen voller Kinder.

Bernd Schmidt mit einem seiner Pferdewagen voller Kinder.

Das Wachwitzer Brunnenfest von 1988 – eine zarte Wurzel des Elbhangfestes

Bis zur friedlichen Revolution 1989/90 wurden öffentliche Feste im Allgemeinen »angeordnet«, organisiert fast immer von der »Nationalen Front«, dem Zusammenschluss der Parteien und Massen­organisationen in der DDR. Auch der »Deutsche Kulturbund« war angegliedert. Ehrenamtliches Engagement der Bürger konnte sich in aller Regel nur dort entfalten. Durch den Mut und die Ausdauer Einzelner gelang es jedoch immer wieder, bedrohte Kulturgüter zu retten. So konnten auch die »Villa Marie« am Blauen Wunder in Blasewitz vor dem Abriss oder Schloss Eckberg in Loschwitz vor der Sprengung bewahrt werden.

»Mein Lebensraum, meine Welt, endet nicht an meiner Wohnungstür. Es ist mir nicht gleichgültig, wie es dahinter aussieht.«

Auch in Wachwitz stand ein immer mehr verfallendes kleines Gebäude. Es war freilich nicht das Einzige. Jeder Wachwitzer kannte es. Mitten auf dem »Dorfplatz« diente es seit Jahrzehnten als Wartehalle für die Straßenbahn und zuletzt für den Bus nach Pillnitz. Unmittelbar neben dem alten Dorfbrunnen wurde es kurz nach 1900 als »Brunnenhaus« erbaut. Eine Pumpstation versorgte von hier die Wachwitzer Einwohner mit Wasser. Der über dem Erdniveau liegende Teil des Fachwerkhäuschens diente als Wartehalle und enthielt im Inneren eine Trafostation und eine Fernmelde-Schaltstelle. Die beiden kleinen Brunnen waren in den achtziger Jahren längst versiegt. Dach, Putz und Fachwerk verfielen. Der »Rechtsträger«, die Stadt Dresden, hatte kein Geld. Der Verfall vieler Gebäude schritt allerorten voran. Wer nicht genau hinsah, nahm es gar nicht mehr wahr.

Andere schon! Ihnen blutete das Herz beim Anblick des Unsäglichen. Sie wollten dem Verfall nicht tatenlos zuschauen. Zu ihnen gehörten auch Susanne und Volker Berthold aus Wachwitz. Mit Gleichgesinnten begannen sie die Sanierung des »Brunnen­häus­chens«. Das Dach wurde repariert, Putzarbeiten waren notwendig, zwei fehlende Holzsäulen mussten ergänzt werden, Zäune wurden instandgesetzt oder neu erstellt, Steinmetzarbeiten und Ma­lerarbeiten ausgeführt. Es musste gegraben werden, um die neue Wasser­leitung zu verlegen, die die beiden Brunnen versorgen sollte. Schließlich versetzte man den gefährdeten Hochwasser­gedenkstein von der Bachbrücke an den sicheren Standort am Brunnenhaus. In zahlreichen Arbeits­einsätzen stellten 1987/88 etwa 60 Wachwitzer unter der Anleitung der Bertholds das Gebäude und die beiden Brunnen wieder her. Eine Tafel zur Geschichte von Wachwitz und eine weitere zum »Elefantenbrunnen« vollendeten das Werk.

Den Abschluss der Arbeiten bildete ein von den Bürgern selbst
organisiertes Dorffest am 25. Juni 1988, dem letzten Juniwochenende. Reinhold Herrmann gestaltete eine Einladungskarte mit dem Weinbergs­wächter für die Einwohner. Erstmalig nach vielen Jahrzehnten wurde dazu eine eigens hierfür gefertigte Sachsenfahne mit dem Siegel von Wachwitz aufgezogen. Sehr viele kamen: Groß­eltern, Eltern und Kinder aus dem »Dorf«, der »Weinbergswächter« alias Reinhold Herrmann mit seiner Hellebarde, Posaunenbläser und die »Wachwitzer Grasmücken«, die Ehrenjungfrauen zur Enthüllung der Brunnen, Bernd Schmidt mit seinem Pferdewagen. Für die Gäste gab es belegte Brote und Freibier und für die Kinder einen fahrbaren Elefanten. Ein Moritatensänger erzählte mit Bildern von Reinhold Herrmann die »erschröckliche« Geschichte vom Transport des Gedenksteins an das Hochwasser von 1844 an seinen neuen Standort. Die »Wachwitzer Grasmücken« sangen hintergründige Texte, wie den neugefassten Freiheitschor aus Verdis »Nabucco«. Und in der Festrede hieß es unter anderem: »Die Fertigstellung dieser gesamten Anlage ist ein Zeichen dafür, dass immer mehr Menschen begreifen: Mein Lebensraum, meine Welt, endet nicht an meiner Wohnungstür. Es ist mir nicht gleichgültig, wie es dahinter aussieht. Auch hinter meinem Zaun oder der Mauer ist die Welt nicht zu Ende. Dies ist ein Zeichen neuen Denkens!«

Genau drei Jahre nach dem nicht »angeordneten«, sondern von in die Freiheit aufbrechenden Bürgern gestalteten Wachwitzer Dorffest feierte der Elbhang das 1. Elbhangfest – auch am letzten Juni­wochenende. Heute stellen sich die verschiedenen Beiträge des »Brunnenfestes« und vor allem der dahinterstehende geistige Anspruch als Wiege des »Elbhangfestes« dar.

Otto-R. Wenzel

Der Wachwitzer Otto-R. Wenzel, Jahrgang 1938, ist Mitbegründer des Elbhangfestes und Gründungs­mit­glied des Ortsvereins Loschwitz-Wachwitz (seitdem dessen Vorsitzender). Der ehemalige Be­zirks­katechet und langjährige Do­zent an der Fachhochschule für Religionspädagogik und Gemeindediakonie Moritzburg (heutige Evangelische Hochschule Moritzburg) war auch Mit­glied im Wie­der­aufbauausschuss Loschwitzer Kirche und ist es bis heute im hiesigen Ortsbeirat.